Sprakforsvaret
   

Schwedisch ist in

 

Schwedischer Kulturattaché in Deutschland ist eine berühmte schwedische Schauspielerin, Marika Lagercrantz. Im Frühjahr 2012 wartete sie im Stockholmer Goethe-Institut mit einer aufsehenerregenden Zahl auf: Es sind sage und schreibe 6000, die Schwedisch an deutschen Universitäten und Hochschulen studieren – verglichen mit Deutschstudierenden in Schweden fast zehnmal so viele. Gemessen an der Einwohnerzahl beider Länder stimmt das Verhältnis, nicht aber, wenn man die Bedeutung von Deutsch und Schwedisch im europäischen und Welthandel oder die Zahl der jeweiligen Muttersprachler vergleicht. Deutsch belegt hier weltweit den neunten, Schwedisch den 89. Platz.


Nein, Schwedisch lernt man in Deutschland nicht, um damit in Wirtschaft und Handel Karriere zu machen. Aber es ist ein kluger Entschluß, auch in dieser Hinsicht.


Sowohl Deutschland als auch Schweden erwirtschaften die Hälfte ihres Bruttonationalprodukts durch Export. Je besser die Sprachkenntnisse, desto größer die Exporterfolge gerade kleiner und mittelgroßer Unternehmen. Eine Tatsache, die die an der Universität Stockholm lehrende Wirtschaftswissenschaftlerin Ingela Bel Habib unlängst in einer Studie anschaulich und stichhaltig nachgewiesen hat (Språkets ekonomiska värde för individer, företag och nationer. Stockholms universitet 2013 [Der ökonomische Wert der Sprache für Individuen, Unternehmen und Nationen, Universität Stockholm 2013]). In einem bevölkerungsmäßig kleinen Land wie Schweden gesellt sich dazu noch der Überraschungseffekt: ”Unglaublich, die interessieren sich für unsere Sprache. Wir sind ihnen wichtig!” Deutschland verkauft fast doppelt so viele Waren und Dienstleistungen an Schweden wie umgekehrt. Das Ungleichgewicht der Handelsbilanz hat auf schwedischer Seite sehr wohl auch mit unzureichenden oder gänzlich fehlenden Deutschkenntnissen zu tun.

 

Traumwelt Schweden

Weshalb lernen Deutsche Schwedisch? Für Studierende ist es ein lukratives Orchideenfach. Hinreichend exotisch, um Spaß daran zu haben und Stieg Larsson oder Henning Mankell im Original lesen zu können.


Für manch einen ist es der Reiz des Besonderen, das Individualität verrät und dem Juristen, BWLer oder Physiker die Tür zu seiner – oder ihrer – heimlichen Traumwelt öffnet. Hier spielen Schwedenbilder von unberührter Natur, Stille, einsamen Inseln und Seen eine Rolle, aber auch Vorstellungen von einer Mentalität, die Schlichtes über Schrilles stellt, Natürlichkeit lebt. Im toleranten Schweden darf man auch einmal schwach sein, ohne an Autorität zu verlieren. Das weiß man aus Büchern schwedischer Autoren, die in Deutschland beliebt sind und sich nicht nur auf das Genre des Krimis beschränken.


Verklärungen beispielsweise des schwedischen Gesundheitswesens oder der schwedischen Schul- und Bildungspolitik halten sich im Ausland zäh, während man in Schweden selbst seit langem Untragbares diskutiert und Einbußen im internationalen Vergleich mit Bitterkeit zur Kenntnis nimmt. Aber das weiß in Deutschland kaum jemand.

 

Schwedische Stille


Wer davon träumt, sich ein Sommerhaus in Schweden zuzulegen oder dorthin auszuwandern, lernt Schwedisch für das schnellere Einbürgern in die neue Heimat und tut gut daran. Denn die verbreitete Auffassung, Schweden und Deutsche unterschieden sich voneinander nur durch die Sprache und seien sich ansonsten recht ähnlich, ist trügerisch. Sprachkenntnisse helfen, in die Strukturen und Untiefen der anfangs fremden Gesellschaft einzutauchen, kulturelle Verhaltensmuster zu verstehen. In Schweden, um ein Beispiel zu nennen, fällt einem normalerweise keiner ins Wort. Man hört dem redseligen Deutschen still zu, aber der Bogen ist häufig schon überspannt, der Geduldsfaden gerissen. Nur sagt einem das niemand. Eine deutsche Gastdozentin, der schwedischen Sprache und Kultur unkundig, hielt ihren einstündigen Vortrag an einem Germanistischen Institut in Schweden ohne Unterbrechung, mit Bandwurmsätzen und überlauter Stimme. Das Publikum fuhr ihr nicht in die Parade, wie sie es aus Deutschland offenbar gewohnt war. Im Gegenteil, man klatschte am Ende höflich. Fragen gab es nicht. Die Dozentin war mit ihrem Auftritt zufrieden. Sie deutete die Stille als Zustimmung. Das Klatschen statt Klopfen ließ  sie gar an einen künstlerischen Auftritt denken. Sie nahm es als Begeisterung. Teilnehmer äußerten anschließend hinter vorgehaltener Hand, sie hätten ”inte ett dugg” (nicht einen Deut) verstanden. Kommende Veranstaltungen des Zyklus waren schlecht besucht (Zu einigen Besonderheiten des Schwedischen, zur schwedischen Mentalität und Konsensuskultur siehe Frank-Michael Kirsch: Willkommen, Herr Doktor Murke! Studien zum Deutschland- und Deutschenbild in Schweden. Schriften des Zentrums für deutsch-dänischen Kulturtransfer, Band 3, Aalborg).

 

Sprachmelodie

Das Erlernen des Schwedischen selbst bereitet Deutschen bei 70 Prozent germanischem Wortstamm keine großen Schwierigkeiten, von der Intonation abgesehen. Der musikalische Klang, die weich fließende Satzmelodie hat für deutsche Ohren etwas Sinnliches. Nicht-Muttersprachlern fällt es schwer, gerade die melodische Leichtigkeit auf- und sich anzunehmen. Nichts, schrieb einmal die versierteste literarische Übersetzerin aus dem Schwedischen ins Deutsche, Verena Reichel, sei so weich wie lent gräs (weiches Gras), nichts aber auch so hart wie kroppkaka (eine Art Kartoffelkloß). Es gehört viel Gefühl und Musikalität dazu, Schwedisch halbwegs akzentfrei zu sprechen.

 

Konkretheit

 

Zu den Geheimnissen des Schwedischen zählt seine Konkretheit. Diese Konkretheit läßt bürokratisches Geschwafel, was es wie überall auf der Welt natürlich auch in Schweden zuhauf gibt, auf der Stelle alt aussehen, entlarvt das Hohle, gestelzt Daherkommende.  Auch für diesen Widerspruch liebe ich diese Sprache. Mit ihrer Geradlinigkeit kommt sie einem entgegen, will man Luthers Ratschlag für einen Redner beherzigen: Tritt keck auf, machs Maul auf, hör bald auf!
Das Schwedische ist in hohem Maße anschaulich-verbal und bildet schnell mal ein Verb, um ein Phänomen zu beschreiben, für das andere Sprachen mindestens einen Satz brauchen. Ein solches Verb ist ”wallraffa”, wallraffen eben. Günter Wallraff ist in Schweden bekannt und geachtet. Müssen Vater oder Mutter mit ihrem kranken Kind zuhause bleiben, ist das ”vabba”, entstanden aus ”vård av barn” (vab). Bei einer meiner ersten Reisen nach Schweden besuchte ich eine Bibliothek in Ronneby. Auf einem Tisch lagen ungeordnet Bücher, und darauf ein Zettel: Inbumsas! Wie bitte? Bücher einbumsen? Damit lag ich gar nicht so verkehrt. Die Bibliothekarin erklärte mir das sogenannte BUMS-System, Bibliotekstjänsts Utlånings- och mediekontrollsystem, ein bürokratisches Unwort, das im Deutschen etwa mit ”Bibliotheksdienstleistungs-Leih- und Medienkontrollsystem” wiederzugeben wäre. Die Bücher auf dem Tisch warteten darauf, registriert und in eben dieses System aufgenommen zu werden. Das Schwedische schaffte die Erklärung locker mit einem Verb von acht Buchstaben.


Ein weiteres Geheimnis: Deutsche Übersetzungen aus dem Schwedischen sind immer fünf bis fünfzehn Prozent länger. Das liegt nicht etwa daran, daß deutsche Übersetzer Wörter schinden, um ihren kargen Lohn aufzubessern, sondern an der effektiven, knappen Satzkonstruktion. Auch kennt das Schwedische viele kurze Wörter, was nicht zuletzt Autokennzeichen verraten. Die vor drei Ziffern stehende Drei-Buchstaben-Konstruktion, die nichts über den Zulassungsort aussagt, ergibt relativ häufig einen Sinn. Darunter sind unzumutbare Wörter, die auf einer Schwarzen Liste des Verkehrsamtes stehen und nicht vergeben werden. Besagte Liste ist lang. Sie reicht von APA (Affe) über FAN (Teufel), FET (fett), FUL (häßlich), KUK (Penis) bis zu LAT (faul) und dem geächteten Wort RAS (Rasse).

Frank-Michael Kirsch

(Tidigare publicerad i Betriebslinguistische Beiträge Zeitschrift für Unternehmenskommuniksation oktober 2013 - här med författarens tillstånd)